Sonntag, 21. April 2013

Die Regeln des Turms

Noch während ich überlege, was sich in den letzten zwei Jahrzehnten Wesentliches in den James Bond Filmen verändert hat, wird ein Anschlag auf die Teilnehmer des Boston Marathon verübt mit zwei Schrapnellbomben, die häßliche Wunden reißen wie im ersten Weltkrieg. Auch wenn die innersten Motive der beiden Brüder noch nicht bekannt sind, wir verstehen sofort, was bezweckt ist - die geballten Demokraten sollen nicht einfach aus eigenem Antrieb laufen und springen, sollen nicht friedlich miteinander konkurrieren, sondern sollen gewaltsam gesprengt werden - von außen zum Springen gebracht.
Es hat etwas Perverses. Da laufen Tausende, weltweit sogar Millionen scheinbar im Andenken an jenen armen Boten, der die Strecke von Marathon nach Athen der Legende nach mit seinem Leben bezahlte. Wer liebt diese Geschichten nicht? David gegen Goliath, ein paar Griechen gegen die imperialistische Übermacht des Darius aus Persien, Asterix gegen die Römer. Nun werden seine Nachfolger, all diese unverwechselbaren Individualisten, die zufälligen FOLLOWER, selber als Übermacht wahrgenommen, gegen die sich der Zorn und Terror der ewig Unterdrückten zu richten hat.

Die James Bond Filme haben in dem letzten halben Jahrhundert niemals aufgehört, für uns eine Schule der Sprenglebendigkeit zu sein. Sie haben uns mit Bildbeispielen versorgt, wie Autos, Häuser, Flugzeuge, Leute in die Luft fliegen, auseinanderbrechen, platzen, zerbersten, zerstäuben, durch die digitale Nachbearbeitung inzwischen in einer solch feinen Auflösung, die ich in meinen kleinen Formaten nicht ansatzweise bändigen kann.

Auch die Verfolgungsjagd mit den beiden tschetschenischen Brüdern, die wild um sich schossen und mit Sprengstoff warfen, hätte Stoff aus jedem Bondfilm sein können. Der Hauptunterschied liegt in der filmischen Qualität, sind uns doch die realen Ereignisse zumeist nur über Handycams und Überwachungskameras zugänglich.

Als ich 1992 das Bild "Die Regeln des Turms" zeichnete, ein Flugzeug über einem explodierenden Turm, hätte ich mir nicht träumen können, daß dies an einem 11ten September einmal traurige Wirklichkeit werden sollte. Diese Bild jedoch habe ich nie bearbeiten wollen.



Dreizehn Arbeiten zu dem James-Bond-Film "Live And Let Die" 
(Leben und sterben lassen) von 1973.
4. otvp 92_046, Die Regeln des Turms


Gibt es etwas, das in den letzten James Bond Filmen wesentlich anders geworden wäre? Viele alte Bilder tauchen als Zitate immer wieder auf, manche als "running gag", die nackte goldene Frauenleiche, heute ölverschmiert wie ein überraschter Kormoran, die schaumgeborene Aphrodite, die Pokergesichter beim Spiel, allerdings sind die Sprünge nach Hunderten von Kung Fu Filmen spektakulärer geworden. Nein, die Zutaten sind eigentlich unverändert, aber die Stimmung der letzten Filme mit Daniel Craig ist anders, duster, die Bösewichter sind zu Terroristen mutiert, vor allem ist eins verschwunden, was uns die frühen Filme wie Comics hat nehmen lassen, nämlich die ironische Distanz und der Humor.